Der Garten

Der Garten


Der Garten liegt nun wieder einsamer, ursprünglicher, in seiner nackten Unberührtheit da,
denn die nicht winterfesten Zierpflanzen: Kakteen zum Beispiel oder Töpfe mit irgendwelchen vom Menschen herangezogenen Gewächsen, welche im Frühjahr und Sommer ihre gezüchtete Lebenslust zu versprühen versuchen, wurden herein ins Haus, in den Keller, in die Laube zum Überwintern genommen.

Und jetzt sieht er aus, der Garten, als hätte man von einem wunderschönen Hals am Ende eines prahlerischen Festes endlich und mit Erleichterung die protzige Kette genommen, bevor man schlafen geht und das Schmuckstück bald vergisst.

Der Garten nun, dieses zusätzlichen Schmucks entledigt, wirkt plötzlich wieder befreit vom Tun der Menschenhand. Denn all die Zierden, welche der Mensch hinzutut, all das unablässige Tun, das hinzugetan wird zum Ursprünglichen, zum Wahren, zum Gegebenen, zum „für sich sprechenden“:
wie oft doch sind sie eine Farce, eine Ablenkung nur vom Anspruch des Gegebenen.

So ist der Garten nun wieder für sich: ursprünglich, wild, unverstellt, in Ruhe gelassen,
und so still im sonntäglichen Morgenlicht.

Glitzernd tanzen Sonnenstrahlen in den kristallnen Spiegeln des ersten Reifs.
Es ist, wie es immer war, ohne Menschenschmuck, ohne „noch mehr“ und ohne „noch besser“ und ohne „noch lauter, noch teurer“: Geheimes Leuchten an den schon fast blattleeren Ästen des Apfelbaumes.
Nur ein paar Blätter noch. Ihr sattes Gelb ist ein Schrei der Freude zwischen schattengelecktem Geäst.
Der kühle Wind aus dem All lädt zum Tanz, und der Garten tanzt mit ihm zu einer Melodie, die alle Herzen öffnet, würde sie nur gehört.
Der Garten ist glücklich.

Die Wesentlichkeit küsst mich! Sie gibt mir meine Einsamkeit zurück, meine Heilsamkeit,
die ich so vermisste im Strom menschlichen Irrsinns.


In grosser Liebe, OM, Benares 7.4.2020


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